Zucker ist süß für die, die ihn essen,
Sprichwort von Zuckerrohrarbeiter*innen auf den Philippinen.
noch süßer für die, die von ihm Gewinne einstreichen,
und bitter für jene, die ihn produzieren müssen.
Das Zuckerrohr hat eine bittersüße Geschichte.
Uns versüßt der aus ihm hergestellte Zucker den Alltag. Für die Menschen, die es anbauen, ist das Zuckerrohr vor allem eine bittere Angelegenheit. Ohne Zuckerrohr und dem aus dieser Pflanze hergestellten Zucker wäre die Welt, in der wir leben, eine andere. Gehen wir der bittersüßen Geschichte des Zuckerrohrs und deren Folgen auf den Grund.
Ohne Zucker würden uns anders ernähren, äßen wir doch keine Schokolade, Süßigkeiten oder Nachtisch. Wir würden anders trinken, hätten wir doch keine Limo, Kaffee, Tee oder Rum zur Verfügung. Wir wären gesünder und hätten weniger Übergewicht. Diabetes und andere, durch übermäßigen Zuckerkonsum verursachte Krankheiten gäbe es nicht in ihrem aktuellen Ausmaß. Der Welthandel würde in anderen Bahnen laufen, und der Kapitalismus hätte, wenn es ihn überhaupt gäbe, ein anderes Gesicht.
Das Zuckerrohr hat in seiner mehr als 2.500 Jahre währenden Geschichte eine steile Karriere hingelegt. Es ist aus unserer Welt nicht mehr wegzudenken. Zuckerrohr ist die meistangebaute Nutzpflanze der Welt, und es ist in allerwelts Munde. Gut siebzig Prozent des weltweit konsumierten Zuckers werden heute aus dieser Pflanze hergestellt.
Ohne Zuckerrohr wäre die Welt, in der wir leben, eine andere.
Die Zuckerrohrpflanze

Das Zuckerrohr wächst bevorzugt in feucht-warmen tropischen Regionen. Als saccharum officinarium fällt es unter die einkeimblättrigen, grasartigen Pflanzen. Innerhalb eines Jahres kann das Zuckerrohr bis zu sechs Meter hoch wachsen und einen Durchmesser von bis zu fünf Zentimetern erreichen. Im Stamm findet sich das Zuckerwasser, das der Pflanze als Energiequelle und dem Menschen zur Zuckergewinnung dient.
Der Saft des Zuckerrohrs schmeckt süß, leicht mineralisch und überraschend frisch. Wer noch nie auf frischem Zuckerrohr gekaut hat, sollte das unbedingt mal versuchen. Ein einmaliges Geschmacks- und Kauerlebnis!
Zur frühen Geschichte des Zuckerrohrs
Ursprünglich stammt das Zuckerrohr aus Südostasien. Es kommt wahrscheinlich aus Papua-Neuguinea, von wo aus der Menschen es über den ganzen Globus verpflanzt hat.
Im fünften Jahrhundert vor Christus wurde das Zuckerrohr in Austronesien und in Südchina als Nutzpflanze angebaut. Damals war das Zuckerrohr allerdings hauptsächlich eine Futterpflanze in der Schweinezucht. Durch den Handel gelangte das Zuckerrohr nach Nordindien, wo es erstmals seiner heutigen Verwendung zugeführt wurde: der Zuckerherstellung.
Daher leitet sich das Wort „Zucker“ etymologisch auch aus dem altindischen Sanskrit ab.
Über die Seidenstraße gelangte das Zuckerrohr auf die arabische Halbinsel. Anschließend verbreitete es sich durch den Handel von dort aus weiter im Mittelmeerraum. Im europäischen Mittelalter und der anbrechenden Neuzeit war Zucker allerdings nicht weit verbreitet. Die Leute süßten ihre Speisen damals wenn überhaupt vor allem mit Honig und Früchten. Zucker war kein gängiges Nahrungsmittel. Zucker und das Zuckerrohr waren Kuriositäten, die in europäischen Königshäusern zur Schau gestellt und herumgereicht wurden.
So war der spanische Königshof wahrscheinlich auch der Ort, an dem Christoph Columbus zum ersten Mal mit dem Zuckerrohr und Zucker in Berührung kam. Und Columbus scheint Gefallen an der Pflanze und dem aus ihr hergestellten Zucker gefunden zu haben. 1493 nahmen er und seine Crew Zuckerrohrsetzlinge auf ihre zweite Fahrt in die Karibik mit.
Columbus und seine Begleiter bauten die Setzlinge auf den karibischen Inseln an und lösten in der Folge einen regelrechten Zuckerrohr-Boom aus.
Zuckerrohr und der Dreieckshandel in Zeiten des Kolonialismus
Innerhalb kurzer Zeit wurde das Zuckerrohr zum integralen Bestandteil des sogenannten „Dreieckhandels“.
Dieser Handel verband Europa, Afrika und die Amerikas miteinander und sorgte für millionenfaches, unsägliches Leid. Europa verschiffte Produkte aus seinen Manufakturen nach Afrika und verschleppte versklavte Menschen von dort in die Amerikas. Von dort kehrten die Schiffe dann mit Zucker, Rum und anderen Kolonialwaren beladen nach Europa zurück. Zucker war nicht nur eine der wichtigsten Waren in diesem Handelssystem. Zucker war Dreh- und Angelpunkt der sich um das Zuckerrohr herausbildenden Plantagenwirtschaft und eines der frühesten kapitalistischen Spekulationsobjekte.

Die europäischen Kolonialisten formten die von ihnen in Beschlag genommenen Karibikinseln durch ihre Plantagenwirtschaft grundlegend um. Die Menschen, die ursprünglich auf den karibischen Inseln lebten, wurden verfolgt und ausgerottet oder kamen durch von den Europäern eingeschleppte Krankheiten ums Leben. Das nun „leere“ Land wurde unter den Kolonialisten verteilt und gerodet, um es für die Plantagenwirtschaft urbar zu machen.
Für die harte Arbeit auf den Plantagen setzten die Kolonialisten versklavte Menschen aus Afrika ein. Durch die stetig wachsende Plantagenwirtschaft und die menschenverachtende Ausbeutung der versklavten Menschen blieb die Nachfrage nach aus Afrika verschleppten Sklav*innen in den Kolonien hoch, was den Dreieckshandel weiter befeuerte.
Währenddessen änderten sich in Europa die Ernährungsgewohnheiten der Menschen drastisch, und der Appetit auf Zucker nahm stetig weiter zu. Auch dies trieb den Dreieckshandel weiter an. Zusätzlich befeuert wurde das Ganze durch den in den europäischen Hafenstädten einsetzenden Kredithandel. Geschäftsleute in Europa investierten ihr Geld in Schiffe oder Handelsgesellschaften, um mit dem Dreieckshandel Gewinn zu machen. Damit gewann der transatlantische Handel zunehmend an Bedeutung, und so waren Welthandel und Kapitalismus von Anfang an eng miteinander verflochten.
Zucker war und ist ein bedeutender Treibstoff des globalen Kapitalismus und von globaler Ungleichheit.
Das Zuckerrohr heute
Bis heute steigt die weltweite Nachfrage nach Zucker stetig an, und das Zuckerrohr verbreitet sich immer weiter.
Im globalen Handel spielen die karibischen Inseln kaum noch eine Rolle, da Zuckerrohranbau inzwischen vor allem in Brasilien und Indien stattfindet. Auf den Karibikinseln ist das Zuckerrohr aber nach wie vor eine der wichtigsten Nutzpflanzen. Die Sklaverei ist heute illegal und weit weniger verbreitet als zu Zeiten des Kolonialismus, aber die Arbeitsbedingungen auf den Zuckerrohrplantagen sind nach wie vor alles andere als rosig.
Nicht nur bei den Arbeitsbedingungen setzt sich die Ungleichheit fort. Das Zuckerrohr wächst im globalen Süden. Der Preis von Zucker wird jedoch nach wie vor an Börsen im globalen Norden gemacht. Hier sind die Produzierenden aus dem globalen Süden nicht vertreten und haben kaum etwas mitzureden.
Die Arbeit auf den Zuckerrohrplantagen
Der Anbau von Zuckerrohr
Zuckerrohr wird auf den karibischen Inseln nach wie vor größtenteils von Hand angebaut.
Machete und Sonnenhut sind häufig die einzige Ausstattung und Schutzkleidung der verarmten Zuckerrohrarbeiter*innen. Die Arbeiter*innen schuften für einen Hungerlohn in der prallen Sonne auf den weitläufigen Plantagen, in deren ehemaligen Herrenhäusern heute die Unternehmer der Zucker- und Rumindustrie wohnen.
Das Zuckerrohr wird in Form von Stecklingen angepflanzt. Die Setzlinge werden mit ein paar Zentimetern Abstand in den Boden gesteckt. Einmal angegangen, wachsen sich die Stecklinge schnell aus. In einem Jahr entstehen dabei dichte Büschel aus Zuckerrohr, deren lange Blätter zu allen Seiten herausstehen. Im Anbau kommen Düngemittel und Pestizide zum Einsatz, die die Arbeiter*innen mit einfachen Handpumpen auftragen und dabei nicht selten direkt einatmen.
Die Ernte von Zuckerrohr
Die Ernte von Zuckerrohr ist ein Knochenjob.
Die Sonne prallt. Der Schweiß fließt in Strömen. Die Blätter des Zuckerrohrs sind scharf und spitz. Alles klebt vom Zuckerrohrsaft. Insekten schwärmen umher und kriechen den Arbeiter*innen die Arme und Beine hoch. Währenddessen müssen diese stets darauf achten, wo sie und ihre Nebenleute mit ihren Macheten hinschlagen und wo das von ihnen und anderen geschlagene Rohr hinfällt. Der Vorarbeiter macht Druck, dass sie schneller arbeiten sollen. Pausen gibt es keine. Unfälle passieren häufig und gehen selten glimpflich aus. Eine Arbeits- oder Krankenversicherung hat dort niemand. Es ist eine mühsame und elende Arbeit.
Um das Prozedere abzukürzen und sich die elende Plackerei sowie die Insekten zu ersparen, brennen die Arbeiter*innen erntereife Felder oft einfach ab. Nachdem die Feuer erloschen sind, stehen nur noch die Zuckerrohrstämme in einer kargen Landschaft, was ihre Ernte leichter macht. Allerdings entstehen durch die zuvor aufgebrachten Düngemittel und Pestizide beim Abbrennen giftige Dämpfe und Ablagerungen auf den Zuckerrohrpflanzen. Diesen sind die Arbeiter*innen beim Abbrennen und der Ernte oft schutzlos ausgeliefert.
Die Weiterverarbeitung von Zuckerrohr
Das geschlagene Rohr muss von Blättern befreit und verladen werden, schließlich wollen die Zuckermühlen beim Herrenhaus gefüttert werden. In diesen Mühlen wird das Rohr der Länge nach ausgepresst. Der eher gräuliche Saft färbt sich durch die mitgepresste Schale leicht grün. Er wird in Kanistern aufgefangen, deren Inhalt dann der Weiterverarbeitung zugeführt wird. Dieser widmen wir uns in einem späteren Beitrag, der sich mit den Themen Ester und Destillation von Rum befasst.

Zucker und die Welt, in der wir leben
Zucker ist keine Ausnahme. Viele der Dinge, die wir im globalen Norden täglich konsumieren, stammen aus dem globalen Süden oder werden mit Rohstoffen von dort hergestellt: Bananen und andere Tropenfrüchte, Computer und Handys, Jeans und Kleidung, Kaffee und Tee, Schokolade und Süßigkeiten, Tabak und andere Drogen, Turnschuhe, Zucker, …
Wer diese Rohstoffe und Dinge im globalen Süden wie und unter welchen Bedingungen herstellt, kommt bei uns im globalen Norden kaum noch an. Die Produkte der Arbeit dieser „Unsichtbaren“ tun das schon. Die Arbeit machen die Menschen im globalen Süden. Die Gewinne machen andere.
So setzen sich globale Ungleichheiten fort.
Fairer Süßen
Trotz einiger Recherchen konnte ich keine globale Initiative finden, die sich der Verbesserung der Arbeitsbedingungen im Zuckerrohranbau annimmt. Die International Labor Organizazion hat sich der Sache angenommen, aber bei ihr sind das Zuckerrohr und dessen Anbau nur ein Thema von viel zu vielen.
Es gibt viele kleine Initiativen, Ortsgruppen, und Eine-Welt-Läden, die sich um das Thema Zucker kümmern und faire Produkte anbieten. In den Regalen vieler Supermärkte lässt sich heute ebenso häufig Fairtrade-Zucker finden. Mit unseren Kaufentscheidungen können wir so zumindest einen kleinen Teil zur Verbesserung der Situation der Arbeiter*innen im globalen Süden beitragen. Wir können uns das Leben also weiterhin versüßen, ohne es für andere allzu bitter werden zu lassen.
Jeder Löffel Fairtrade-Zucker macht einen kleinen aber wichtigen Unterschied.
Quellen
Zum Zuckerrohr
Wikipedia auf Englisch: “Sugarcane”.
Wikipedia auf Deutsch: “Zuckerrohr”.
Zum Zuckerhandel
Aktuelle Kursinformation zum Zuckerpreis der Börse Frankfurt: “Zuckerpreis”.
Zucker und Fairtrade: “Sugar”.
Zu den Arbeitsbedingungen auf Zuckerrohrplantagen
Die International Labour Organization zur Kinderarbeit im Zuckerrohranbau: “Report: Child labour in the Primary Production of Sugarcane”. (2017).
Die taz zum Einsatz von Pestiziden bei Flor de Cana: “Bitteres Zuckerrohr, bitterer Rum”. (2010).
Zur Geschichte der Plantagenwirtschaft und der Rolle von Sklaverei und Zucker
Mintz, Sidney W. Sweetness and Power: The Place of Sugar in Modern History. New York: Penguin Random House, 1985. (auf Deutsch: Die süße Macht. Kulturgeschichte des Zuckers. Campus Verlag.)
Trouillot, Michel-Rolph. “North Atlantic Universals: Analytical Fictions, 1492–1945”. South Atlantic Quarterly 101, No. 4 (2002): 839–58.
Tsing, Anna L. “On Nonscalability: The Living World Is Not Amenable to Precision-Nested Scales”. Common Knowledge 18, No. 3 (2012): 505-524.
Zeuske, Michael. Insel der Extreme. Kuba im 20. und 21. Jahrhundert. Zürich: Rotpunktverlag, 2000.
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